
Wohnimmobilien 2023 - Quo vadis?
Herr Caspar, Sie gelten als exzellenter Kenner der Immobilienbranche und haben als Präsident der IHK Frankfurt einen besonders guten Einblick in das volkswirtschaftliche Umfeld. Wo steht der Immobilienmarkt aktuell?
Man muss natürlich sehen, dass die Immobilienbranche in den letzten Jahren durch ein historisch niedriges Zinsniveau verwöhnt worden ist. Für viele Marktteilnehmer ist das über die Jahre zur Normalität geworden, weil sie es einfach nicht mehr anders kennen. Aber wenn man sich den historischen Kontext ansieht, dann war das Zinsniveau eben ungewöhnlich niedrig. Das heißt, die Immobilienbranche hatte in den letzten Jahren außerordentlich gute Zeiten. Wenn es veränderte Rahmendaten gibt, so ist dies eher ein Zeichen für die Rückkehr zur Normalität.

Aber die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg sind ja schon besondere Ereignisse, die sich auf die Märkte ausgewirkt haben.
Corona hatte selbstverständlich wirtschaftliche Auswirkungen. Wir wissen aber, dass die jetzige Variante nicht mehr dazu führt, dass es zu erheblichen wirtschaftlich negativen Auswirkungen kommt. Die Krankheit Covid 19 ist nicht vorbei, aber ich glaube die wirtschaftlichen Auswirkungen sind im Wesentlichen zu Ende und sollten nicht mehr dazu führen, dass Entscheidungen zurückgestellt oder davon beeinträchtigt werden. Eine Investitionszurückhaltung im deutschen Immobilienmarkt wegen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ist meines Erachtens ebenfalls nicht gerechtfertigt, denn dieser Krieg hat auch zu einer Stärkung der NATO und damit der Sicherheit von Investitionen in Deutschland geführt. Allerdings auch zu einer weiteren Belastung durch höhere Energiepreise.
Auch aufgrund der hohen Energiepreise schrecken viele Investoren momentan vor einer Investition zurück. Was raten Sie potenziellen Käufern?
Richtig ist, dass wir erheblich höhere Energiepreise haben. Klar ist aber auch, dass dies nur eine temporäre Überhöhung ist. Wir werden in den nächsten Jahren auch wieder etwas niedrigere Energiepreise sehen als heute. Energie wird jedoch trotzdem dauerhaft deutlich teurer sein als bis zum Jahr 2021. Bei höheren Energiepreisen gilt: Immobilien sind attraktiv, die entweder auf erneuerbare Energie setzen oder sehr energiesparend sind. Das dürfte bei Neubauten in der Regel der Fall sein. Der Erwerb einer solchen Immobilie ist eine Chance für Menschen, die jetzt in Wohnungen leben, bei denen sie hohe Energiepreise haben. Diese sind in vielen Altbauten so hoch, dass hier einige schon von einer „zweiten Miete“ sprechen. Neu errichtete Immobilien, gerade auch Wohnungen in Mehrfamilienhäusern, sind dann langfristig im Vorteil.
Sie betonen also auch im jetzigen Umfeld den Erwerb einer Neubau-Immobilie. Aber können sich das die Menschen bei den massiv gestiegenen Zinsen überhaupt noch leisten?
Ende des letzten Jahres hatten wir bei 10-jährigen Zinsen etwa 1 Prozent, heute liegen wir bei 3–4 Prozent, das ist natürlich erheblich höher. Im historischen Vergleich, das heißt mit Ausnahme der Sonderphase, die wir in den letzten Jahren durch das historisch niedrige Zinsniveau hatten, befinden wir uns im mittel- und langfristigen Bereich immer noch unterdurchschnittlich. Dabei sollte man eines auf keinen Fall vergessen: Wir hatten in den letzten Jahren kaum Inflation, sondern eine Inflationsrate von 1–2 Prozent bei Zinsen von 1–2 Prozent. Durch eine Kreditaufnahme konnte man also inflationsbereinigt nichts verlieren, aber auch nichts gewinnen. Aktuell haben wir 8-10 Prozent Inflation auf der einen Seite und 3-4 Prozent Zinsen auf der anderen Seite. Das heißt, jeder der jetzt Kredite für Immobilien aufnimmt, hat einen Vermögensvorteil von 5-6 Prozent in jedem Jahr. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die monatliche Rate, der Kapitaldienst, bedient werden kann.
Aber ist nicht eine Festgeldanlage bei einer Bank nicht auch wieder eine Alternative für den Kapitalanleger, hier gibt es ja auch wieder 2–3 Prozent Zinsen, jedenfalls für etwas längerfristige Anlagen.
Das ist eben der Unterschied zwischen Geld– und Sachwerten. Bei einer Festgeldanlage erhalten Sie feste Zinsen und am Ende das eingezahlte Geld zurück, aber eben auch nicht mehr. Das bedeutet, dass der reale Wert der Rückzahlung unter Berücksichtigung der Inflation viel niedriger ist und in der Regel sogar zu einem Realverlust an Kaufkraft führt. Ertrag bringende Sachwerte wie Immobilien sind über die mit der Preisentwicklung mitlaufenden Mieten viel besser inflationsgeschützt.
"Die Mieten werden nach meiner Einschätzung weiter steigen."
Mieten sind ein gutes Stichwort – wie werden sich die Mieten in den nächsten Jahren aus Ihrer Sicht entwickeln?
Die Mieten werden nach meiner Einschätzung weiter steigen. Das liegt zum einen an der weiterhin steigenden Nachfrage gerade in den Metropolregionen, die das Angebot an Mietwohnungen deutlich übertrifft. Zum anderen sind immer mehr Mietverträge direkt an die Preissteigerung gebunden, also indiziert. Die Miethöhe wird dadurch unmittelbar durch die allgemeine Preissteigerung beeinflusst.
Und diese Mietverträge ziehen dann mittelfristig den Mietspiegel weiter nach oben und bilden damit zeitversetzt die Grundlage für Mieterhöhungen auch bei den nicht indizierten Mietverträgen.
Dann scheint die Investition in eine selbst- oder fremdgenutzte Immobilie mit geringen Nebenkosten die richtige Entscheidung zu sein. Aber ist jetzt der richtige Zeitpunkt oder werden die Preise sinken, sodass man besser noch abwarten sollte?
Die Immobilienpreise werden nicht immer und überall steigen. Wir wissen aber, dass es nach wie vor in den Ballungsräumen und großen Städten erhebliche Nachfrage nach mehr Wohnraum gibt. Ein Grund dafür ist, dass zurzeit viel mehr Menschen aus dem
aktiven Berufsleben ausscheiden als nachfolgen. Diejenigen, die sich in den Ruhestand verabschieden, zählen zu den geburtenstarken Jahrgängen, die fast doppelt so stark sind als die Jahrgänge der der Berufseinsteiger, die von unten nachkommen. Damit die entsprechende Anzahl an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Firmen zur Verfügung steht, müssen viele Menschen zusätzlich dorthin ziehen, wo es Arbeitsplätze gibt.
Wir haben uns diese Situation beispielhaft in der Metropolregion Frankfurt RheinMain mit knapp 6 Millionen Einwohnern genauer angeschaut. Jedes Jahr müssten dort etwa 50.000 Menschen zusätzlich hinziehen, um damit den Verlust an Arbeitskräften auszugleichen. Der Druck auf zusätzlichen Wohnraum in den Ballungszentren und in den großen Städten wird weiter vorhanden sein bzw. sogar noch zunehmen. Ich erwarte daher keine großen Rückschlagpotentiale.
Vielen Dank für das Interview, Herr Caspar.
Ulrich Caspar ist Diplom-Betriebswirt und seit Mai 2019
Präsident der IHK Frankfurt am Main.